Shirtgate: Die Dummheit meldet sich zu Wort

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Für kurze Zeit ging die Pionierleistung der „Rosetta“-Mission und ihrer Verantwortlichen im ideologischen Gewese und Gebläse des Geschlechterkrieges unter. Anlaß: Das etwas geschmacklose Oberhemd eines Briten, nämlich des wissenschaftlichen Leiters der Mission. Der Physiker Matt Taylor trug während des Livestreams der „Philae“-Landung ein Oberhemd mit aufgedruckten Cartoons von waffenschwingenden Rockladies in Lederbikinis. Eine befreundete Grafikerin hatte es dem bekennenden Death Metal-Fan geschenkt.

Der Wahnsinn bricht sich Bahn

Auf dieser Konferenz sind es Christbaumkugeln und eine verrückte Hose – Matt Taylors Geschmack ist eben immer etwas eigen.

Auf dieser Konferenz sind es Christbaumkugeln und eine verrückte Hose – Matt Taylors Geschmack ist eben immer etwas eigen.

Daraufhin begannen erst Twitter, dann die Feuilletons in der englischsprachigen Welt zu sieden. Auslöserin war die US-amerikanische Feministin und Journalistin Rose Eveleth, die ein Bild von Taylor unter den Hashtags „shirtgate“ und „shitstorm“ verbreitete und ein paar sarkastische Bemerkungen über die frauenfeindliche Arbeitskultur in der Wissenschaft machte. Die Grafikerin Elly Prizeman stellte sich vor ihren Freund und erklärte, das Hemd sei ein Geburtstagsgeschenk gewesen, aber es nützte nichts mehr.

CNN, der „Telegraph“, die „Daily Mail“ und der ganz linke „Guardian“ berichteten darüber. Über Matt Taylor brach ein Beschimpfungskatarakt herein, den auch prominente Fürsprecher wie der britische Politiker Boris Johnson nicht aufhalten konnten. Sogar im deutschen Feuilleton machte man sich lustig, obwohl der Spott hierzulande hauptsächlich den unmöglichen Oberhemden galt, die man so auf der Insel trägt.

Matt Taylor hatte mit alldem nicht gerechnet und war schwer getroffen. Unter Tränen entschuldigte sich der Physiker auf einer Pressekonferenz der ESA für seinen Mißgriff. Aber das war nun auch wieder nicht richtig, denn viele Stimmen auf Twitter fanden, daß es nichts gäbe, wofür sich die „Rosetta“-Mannschaft hätte entschuldigen müssen.

Ein Rocker mit Herz

Dieses Mal ist das Hemd ordentlich, und über die tätowierten Unterarme kann sich auch keiner aufregen. Hier spricht Matt Taylor anläßlich einer „Rosetta“-Präsentation in Paris. Im Vordergrund ein offenbar von grobmotorischen Bühnenarbeitern lädiertes Modell von „Rosetta“.

Dieses Mal ist das Hemd ordentlich, und über die tätowierten Unterarme kann sich auch keiner aufregen. Hier spricht Matt Taylor anläßlich einer „Rosetta“-Präsentation in Paris. Im Vordergrund ein offenbar von grobmotorischen Bühnenarbeitern lädiertes Modell von „Rosetta“.

Dabei ist Matt Taylor weder ein weltfremder Nerd noch ein bornierter Patriarch. Er geht gerne auf Death Metal-Konzerte, liebt Tattoos und hat sich mit David Vincent von „Morbid Angel“ für die Zeitschrift „Metal Hammer“ ablichten lassen. Mag sein, daß er schon mal in Wacken war, um dort einer seiner Lieblingsbands zu huldigen. Sein Hemdengeschmack ist sehr eigen – er ist auch schon mit T-Shirts von „Cannibal Corpse“, einer Death Metal-Band aus den USA, fotografiert worden.

Matt Taylor zeigt seine tätowierten Unterarme. Man fragt sich, was man gesehen hätte, wenn er auf der umstrittenen Pressekonferenz mit bloßem Oberkörper aufgetreten wäre.

Matt Taylor zeigt seine tätowierten Unterarme. Man fragt sich, was man gesehen hätte, wenn er auf der umstrittenen Pressekonferenz mit bloßem Oberkörper aufgetreten wäre.

Mit seiner Frau Leanne hat er zwei Kinder. Aus Anlaß der erfolgreichen Reanimation von „Philae“ 2014 ließ er sich Bilder beider Sonden auf das Bein tätowieren. Seine wissenschaftliche Arbeit beschäftigte sich ursprünglich mit Magnetfeldern, kosmischer Strahlung und Nordlichtern. Er kann Veröffentlichungen in renommierten Wissenschaftszeitschriften vorweisen. 2013 war er Chefwissenschaftler der „Rosetta“-Mission geworden.

Die Fans sammeln für kleine Sterngucker

Taylor hatte überraschend viele Fans. Seine Unterstützer organisierten auf „Indiegogo“ eine Crowdfunding-Kampagne, um ihm als Ausdruck der Wertschätzung ein Geschenk zu machen. Eigentlich hatten sie nur 3000 US-Dollar haben wollen, aber es kamen dann 24 003 Dollar zusammen. Auf Taylors Bitte hin gingen davon 23 000 Dollar an die an die „Universe Awareness Campaign“, die speziell Kinder aus schwierigen Verhältnissen an die Astronomie heranführt. Für den Rest des Betrags wurde eine Gedenkplakette an die „Rosetta“-Mission produziert. Ursprünglich hatten die Fans Taylor eine rund 2800 Dollar teure astronomische Uhr schenken und von dem Rest das Rosetta-Team zu Essen einladen wollen.


Bildnachweis: © Titelbild + #1 – Mike Peel (www.mikepeel.net)., CC BY-SA 4.0, #2 + #3 – ESA

Über den Autor

Mein Beruf ist das Schreiben; ich arbeite als freier Journalist, Texter und Buchautor. Das reicht für Leben und Modellbau, also auch für das eigentliche Leben. Beruflich wie als Modellbauer interessiert mich die Luftfahrt, speziell die der großen Luftfahrtländer. Ich baue auch gerne mal etwas, das aus dem Rahmen fällt. Hauptantriebskräfte: Neugier, Kaffee und ein guter Witz.

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