Viktor Belenko: Flucht in den Westen

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Fluglotsen, Passagiere und Piloten auf dem kleinen japanischen Flughafen Hakodate kamen um die Mittagszeit des 6. September 1976 aus dem Staunen nicht heraus. Aus den tief hängenden Wolken tauchte eine sowjetische MiG-25 auf, damals ein im Westen kaum bekanntes Flugzeug, und schwebte zur Landung ein. Beim Ausrollen verfehlte die MiG nur knapp eine gerade zum Start rollende Boeing 727, nahm ein paar Zäune mit und kam auf dem Rasen am Ende der Landebahn zum Stehen.

Der perplexen Polizei stellte sich der Pilot in sehr russisch klingendem Englisch als Leutnant Viktor Belenko vor und bat um politisches Asyl in den USA. Nachdem nun klar war, dass hier kein sowjetischer Invasionsversuch vorlag, nahmen ihn die Polizisten fest – wegen illegaler Einreise, Verletzung japanischen Luftraums und unerlaubten Waffenbesitzes.

Belenkos Flug war gleich in mehrerer Hinsicht eine Überraschung. Sein Flugzeug, der fast Mach 3 schnelle Höhenjäger MiG-25P, war im Westen so gut wie unbekannt. Die Experten kannten das von der NATO auch „Foxbat“ genannte Flugzeug bisher hauptsächlich als Aufklärer. Und Belenko gehörte zu den Privilegierten. Der 29jährige war Leutnant in den sowjetischen Luftverteidigungskräften, in der Sowjetunion eine eigenständige Teilstreitkraft wie das Heer oder die Marine. Seine Einheit, das 513. Jagdfliegerregiment, vergleichbar einem westlichen Geschwader, galt als Eliteverband.

Belenko selbst war als Sohn eines Kriegsveteranen und Bergmanns so etwas wie ein sowjetischer Modell-Mensch. Vater Belenko hatte die Talente seines am 15. Februar 1947 geborenen Sohnes erkannt und nach Kräften gefördert. Fliegen lernte Belenko bei der DOSAAF, der „Freiwilligen Gesellschaft zur Unterstützung der Armee, der Luftstreitkräfte und der Marine“. Die auch heute noch bestehende DOSAAF ist eine paramilitärische Massenorganisation, die Jugendliche auf ihren Wehrdienst vorbereitet. 1970 nahm ihn die Luftwaffe als Pilot auf. Belenko kam schnell vorwärts und wurde Fluglehrer.

Aber viel Spaß machte ihm der Job nicht. Seine Vorgesetzten erwarteten, dass der Flugschüler die Ausbildung abschließen ließ, die er für unfähig hielt. Und er stieß sich an den vielen Stunden Politunterricht, die er seinen Flugschülern erteilen musste. Er begann, das System zu hinterfragen.

Viktor Belenkos sowjetischer Dienstausweis wird heute im CIA-Museum aufbewahrt. (#01)

Viktor Belenkos sowjetischer Dienstausweis wird heute im CIA-Museum aufbewahrt. (#01)

Auch privat hatte er Probleme. In der Ehe mit seiner Frau Ludmilla kriselte es. Sie kam aus einer wohlhabenden Familie und kam mit den bescheidenden Verhältnissen eines Fliegerleutnants nicht klar. Belenkos Versetzung zum 513. Jagdfliegerregiment in Sibirien machte die Situation nicht besser. Der Stützpunkt Chuguyevka war abgelegen und für die komplexe MiG-25 nicht geeignet. Es fehlten Unterkünfte, Werkstätten und Freizeitmöglichkeiten. Alkohol war zwar verboten, aber die Soldaten tranken stattdessen den Kühlalkohol ihrer Flugzeuge. Belenko sprach das Thema auf Parteiversammlungen an und warb dafür, dass man gemeinsam Unterkünfte bauen und die Offiziere Geld dafür spenden sollten. Mit diesen Ideen machte er sich schnell unbeliebt.

Mit einem MiG-25P-Höhenjäger wie diesem desertierte Viktor Belenko 1976 nach Japan. (#03)

Mit einem MiG-25P-Höhenjäger wie diesem desertierte Viktor Belenko 1976 nach Japan. (#03)

Belenko plante also seine Flucht in die USA. Auf einem Trainingsflug setzte er sich Richtung Japan ab. Er ging auf Baumwipfelhöhe herunter und nahm Kurs auf Hokkaido, die nördlichste der japanischen Inseln. Sein Ziel war der japanische Militärflugplatz Chitose. Auch über See blieb er in geringer Höhe, um unbemerkt in den japanischen Luftraum einzufliegen. Als er den erreicht hatte, stieg er auf rund 6 000 Meter und wurde langsamer, um nicht für einen Angreifer gehalten zu werden.

Aufklärungsbomber wie diese Maschine blieben bis vor einigen Jahren bei der russischen Luftwaffe im Einsatz (#02)

Aufklärungsbomber wie diese Maschine blieben bis vor einigen Jahren bei der russischen Luftwaffe im Einsatz (#02)

Die japanische Luftüberwachung hatte ihn gegen 13.11 Uhr erfasst und sofort eine Rotte F-4EJ „Phantoms“ auf ihn angesetzt. Außerdem funkte sie ihn auf Englisch und Russisch an. Aber Belenko konnte sie nicht hören, weil sein Funkgerät auf eine andere Frequenz eingestellt war. Auf seinem Kurs lag dichte Bewölkung, sodass er nicht in Chitose landen konnte. Und während die beiden Jäger zu ihm aufschlossen, ging er auf etwa 500 Meter herunter, um aus den Wolken herauszukommen. Das japanische Radar verlor ihn wieder. Mit fast leeren Tanks erreichte er Hakodate.

Politisches und bürokratisches Gezerre zwischen Japan, der Sowjetunion und den USA setzte ein. Sowjetische Diplomaten sprachen mit Belenko, aber der wollte von Rückkehrangeboten nichts wissen. Schließlich übergab Japan Belenko den USA, die ihn sofort ausflogen. Sein Flugzeug wurde Teil für Teil analysiert und in Einzelteilen zurück geschickt.

Aufnahme eines "Foxbat"-Höhenaufklärers im Tarnanstrich. Maschinen dieser Version waren bis zum endgültigen Abzug der sowjetischen Truppen in der früheren DDR stationiert. (#04)

Aufnahme eines „Foxbat“-Höhenaufklärers im Tarnanstrich. Maschinen dieser Version waren bis zum endgültigen Abzug der sowjetischen Truppen in der früheren DDR stationiert. (#04)

Die MiG-25P zeigte sich als solide konstruierter Abfangjäger, der US-amerikanische Aufklärer und Aufklärungsdrohnen in großen Höhen jagen konnte. Sie war gut, aber kein Superflugzeug. Bis 1985 wurden 1190 „Foxbats“ in einem Dutzend Versionen gebaut, darunter auch Bomber und Aufklärer. Russland stellte die letzten „Foxbats“ 2013 außer Dienst.

Die MiG-25PU war die zweisitzige Trainerversion der „Foxbat“. Der Flugschüler saß in dem tieferliegenden Cockpit vor dem Fluglehrer. (#05)

Die MiG-25PU war die zweisitzige Trainerversion der „Foxbat“. Der Flugschüler saß in dem tieferliegenden Cockpit vor dem Fluglehrer. (#05)

Belenko wurde amerikanischer Staatsbürger und lehrte viele Jahre Taktik und Strategie des Luftkampfes. Er heiratete wieder und hat mit seiner Frau zwei Kinder. Russland betrachtet ihn immer noch als Hochverräter.


Bildnachweis: © #01 CIA-Museum via WikiMedia Commons, #02 Dimitriy A. Motti via WikiMedia Commons, Titelbild + #03 + #04 + #05 U.S. Air Force via Wikimedia Commons

Über den Autor

Mein Beruf ist das Schreiben; ich arbeite als freier Journalist, Texter und Buchautor. Das reicht für Leben und Modellbau, also auch für das eigentliche Leben. Beruflich wie als Modellbauer interessiert mich die Luftfahrt, speziell die der großen Luftfahrtländer. Ich baue auch gerne mal etwas, das aus dem Rahmen fällt. Hauptantriebskräfte: Neugier, Kaffee und ein guter Witz.

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