Flugpionier Hans Grade: Ein Erfinder schrieb Geschichte

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Hans Grade ist hauptsächlich als Flugpionier in die Geschichte eingegangen. Aber er war ein vielseitig talentierter Mann, der als Unternehmer genauso erfolgreich war wie als Konstrukteur. Neben Flugzeugen entwarf er auch Autos, Traktoren und Motorräder. Das Auto, das er noch im letzten Jahr des 1. Weltkriegs vorstellte, war der erste in Deutschland konstruierte Kleinwagen, der kommerziell sehr erfolgreich war. Tatsächlich verdiente er als Industrieller sogar mehr Geld mit seinen Autos als mit dem Flugzeugbau.

Grade war der erste Deutsche, der mit Motorkraft flog. Am 28. Oktober 1908 startete er mit seinem Dreidecker auf dem Krakauer Anger bei Magdeburg zu seinem historischen Flug. Er starb am 22. Oktober 1946 in Borkheide, nachdem er kurz vorher noch seinen Betrieb von der sowjetischen Besatzungsmacht zurückerhalten hatte.

Der Weg zum ersten Motorflug Deutschlands

Auf seinen ersten Motorflug hatte der Flugpionier lange hingearbeitet. Grade kam am 17. Mai 1879 im pommerschen Köslin zur Welt, ein Ort, der heute in Polen liegt. Er las bereits als Heranwachsender die Veröffentlichungen von Otto Lilienthal über den Vogelflug und baute seine eigenen Flugmodelle. Nach dem Abitur ging er nach Berlin, um dort Maschinenbau und Elektrotechnik zu studieren. Er arbeitete als Maschinenbau-Volontär in Grevenbroich. Von 1900 bis 1904 besuchte er die Technische Hochschule in Charlottenburg.

Hans Grade im Jahre 1912, aufgenommen in Berlin-Johannisthal kurz vor dem Start mit seinem Eindecker.

Hans Grade im Jahre 1912, aufgenommen in Berlin-Johannisthal kurz vor dem Start mit seinem Eindecker.

Aber zunächst interessierten ihn Motorfahrzeuge mehr. Als die Gebrüder Wright 1903 mit ihren ersten Flügen von sich reden machten, konstruierte Grade ein eigenes Motorrad. Er übernahm eine Motorenwerkstatt, die er bis 1905 führte, dann gründete er in Magdeburg die Grade-Motoren-Werke GmbH. 1907 und 1908 leistete er seinen Militärdienst ab, verlor aber seinen Traum von Fliegen nicht aus den Augen. In diesen Jahren begann er mit den Arbeiten an seinem ersten Flugzeug, einem Dreidecker.

Das Magdeburger Technikmuseum zeigt diesen Nachbau des Grade-Dreideckers von 1908. Der Magdeburger Ingenieur und Fluglehrer Rolf Wille, der noch mit über 80 Jahren aktiver Flieger war, baute das Flugzeug 1997 in Originalgröße nach. (#2)

Das Magdeburger Technikmuseum zeigt diesen Nachbau des Grade-Dreideckers von 1908. Der Magdeburger Ingenieur und Fluglehrer Rolf Wille, der noch mit über 80 Jahren aktiver Flieger war, baute das Flugzeug 1997 in Originalgröße nach. (#2)

Grade hatte nicht nur das Flugzeug konstruiert, sondern auch den Motor, einen Sechs-Zylinder-Zweitaktmotor von 36 PS. Das Flugzeug baute er in einem Schuppen, weil er Angst hatte, sich mit der Konstruktion zu blamieren. Der Magdeburger Generalanzeiger kündigte in seiner Ausgabe vom 19. September 1908 den Beginn der Flugversuche an. Ähnlich wie im heutigen Testflugbetrieb machte Grade zunächst Rollversuche und dann einige kurze Luftsprünge.

Der erste Motorflug Deutschlands war zwar ein Erfolg, endete aber mit Bruch. Grade beschrieb den Flug später so: „Nach einem langen Sprungflug rannte mir eine Frau in den Weg. Entweder musste ich sie umreißen, überspringen oder besser – überfliegen. Ich zog am Höhensteuer. Ich erreichte eine Höhe von 8 m. Mir war nicht wohl dabei, auch meiner Maschine schien diese Höhe nicht zu behagen. Sie rutschte über den rechten Flügel ab, da sie übersteuert war und machte Bruch. Da saß ich nun wie Scipio über Karthagos Trümmern. Vor mir lag mein erster Bruch, hinter mir mein erster Flug.“

Zum Glück gelang es ihm, das bruchgelandete Flugzeug wieder flottzumachen. Bis Mai 1909 machte er mit seinem Dreidecker rund 790 weitere Flüge, die bis zu 700 Meter lang waren. Die Streckenflüge sollten erst später kommen. In dieser Phase der Fliegerei ging es im wesentlichen darum, ein Gerät zu bauen, das einigermaßen sicher flog.

Rekordflüge mit der „Libelle“

Besucher des Verkehrsmuseums in Dresden können sich auf einen Nachbau des Grade-Eindeckers freuen.  (#3)

Besucher des Verkehrsmuseums in Dresden können sich auf einen Nachbau des Grade-Eindeckers freuen. (#3)

Im August 1909 zog Grade mit seiner Werkstatt nach Bork, das heutige Borkheide. Von hier aus startete er mit seiner „Libelle“, einem Eindecker zum Erstflug. Mit der „Libelle“ versuchte er im September 1909, den mit 40 000 Goldmark dotierten Lanz-Preis zu gewinnen. Den hatte der Traktorfabrikant Otto Lanz für den ausgelobt, der als erster mit einem in Deutschland gebauten und von einem deutschen Motor angetriebenen Flugzeug alle Freiflugmanöver ausführte und eine 1000 Meter lange Acht um zwei Pylone flog. Bei diesem Flug brach ihm der Propeller, an dem er noch am Abend vorher eigenhändig eine Schweißnaht erneuert hatte. Grade fiel mit seiner „Libelle“ in einen Kiefernwald, blieb aber unverletzt. Sein Flugzeug „faltete sich zusammen wie ein Chapeau claque“, sagte er später. Es spricht für seine Talente als Flugzeugbauer, dass er aus dem Bruch wieder ein flugfähiges Luftfahrtzeug machen konnte. Mit der runderneuerten „Libelle“ starte er dann im Oktober auf dem Flugplatz Berlin-Johannisthal zu einem zweiten Versuch. Dieses Mal gewann er den Lanz-Preis ohne Probleme.

Hans Grades klassische Konstruktion

Hans Grade war auch als Automobilbauer erfolgreich. Hier ein Grade-Wagen 4/16 PS von 1922, der im Deutschen Technikmuseum Berlin ausgestellt ist. (#4)

Hans Grade war auch als Automobilbauer erfolgreich. Hier ein Grade-Wagen 4/16 PS von 1922, der im Deutschen Technikmuseum Berlin ausgestellt ist. (#4)

Trotz des Unglücks erwies sich die „Libelle“ als solide Konstruktion. Sie hatte ein Spannweite von 10, 5 Metern und wog gerade 130 Kilogramm. Der Pilot saß unter der Tragfläche und steuerte mit einem einzelnen Hebel. Nach heutigen Maßstäben wäre sie ein Ultraleichtflugzeug. Er zeigte seine „Libelle“ in ganz Deutschland, musste aber damit leben, dass das Publikum sein Flugzeug als „lebensgefährliche Mausefalle“ verspottete. Dabei war die „Libelle“ im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Konstruktionen durchaus ein sicheres Flugzeug. Mit der „Libelle“ stellte Grade weitere Rekorde auf. Im September 1910 gelang ihm mit vier Stunden 30 Minuten der erste Dauerflug im Eindecker, und im folgenden Monat ein 60 Kilometer langer Überlandflug.

Diesen Flug richtete der Verein Deutscher Lufttechniker aus, der für Grade und die anderen Teilnehmer auch Preisgelder zur Verfügung stellte. Am 30. Oktober 1910 starte Grade mit seinem Eindecker, zusammen mit den beiden anderen Teilnehmern. Die waren Robert Thelen, der einen Wright-Doppeldecker steuerte, und Eugen Wincziers mit einem Blériot-Eindecker. An der Strecke versammelten sich zahlreiche Schaulustige, die zum Teil mit Sonderzügen aus Berlin angereist gekommen waren. Grade landete nach 53 Minuten und 40 Sekunden Flugzeit am Zielort. Er wurde jedoch wegen seines schwächeren Motors nur Zweiter und bekam dafür 1500 Goldmark. Dagegen schaffte Wincziers den Ersten Platz und konnte sich über 2500 Goldmark freuen.

Hans Grade wird Flugzeugfabrikant

Im April 1911 stieg er mit seinem Dreidecker auf 1450 Meter Höhe – damals ein Rekord. Grade erhielt auch den ersten in Deutschland ausgestellten Pilotenschein – im Februar 1910, über ein Jahr nach seinem ersten Flug. Die Lizenz trug aus unbekannten Gründen die Nummer Zwei – immerhin eine ‚Grade‘-Zahl, soll der Flugpionier dazu gesagt haben.

Mit dem Preisgeld des Lanz-Preises gründete er in Borkheide eine Flugzeugfabrik, die im Mai 1910 die Arbeit aufnahm. Am 22. September 1911 produzierten die Grade-Fliegerwerke ihre 50. Maschine. Außerdem gründete er Deutschlands erste Pilotenschule, auf der bis 1914 rund hundert Piloten ihre Lizenz erwarben. Seit 1913 hatte er hier auch die ersten deutschen Militärpiloten ausgebildet.

Grade beförderte 1912 auch die ersten Luftpostsendungen im Deutschen Reich. Im gleichen Jahr machte er Flugversuche mit dem ersten in Deutschland gebauten Wasserflugzeug. Kaiser Wilhelm II. würdigte die Verdienste des Fliegers und verlieh ihm im gleichen Jahr den Kronenorden 4. Klasse. 1914 war er der erste Flieger, der seine Maschine auf den Rücken legte und diesem Zustand eine längere Strecke flog.

Der Erste Weltkrieg und danach – vom Flugzeugbau zum Automobilbau

Als der 1. Weltkrieg ausbrach, wurde Grades Betrieb zur Reparatur von Militärflugzeugen herangezogen. Seine eigenen Konstruktionen waren reine Sportflugzeuge und wurden als ungeeignet für die Kriegseinsatz eingestuft. 1917 verkaufte Grade sein Unternehmen an den Konkurrenten Aviatik und gründete eine neue Firma. Er wandte sich wieder dem Fahrzeugbau zu und präsentierte noch 1918 den ersten deutschen Kleinwagen, den er bereits 1915 entworfen hatte. Nach dem Krieg stieg er dann in den Automobilbau ein. 1921 gründete er die Grade Automobilwerke AG, und sein Kleinwagen war 1924 das am meisten verkaufte Auto Deutschlands. Zu seinen besten Zeiten beschäftigte das Unternehmen rund 800 Menschen. Trotzdem machte Grade 1927 Konkurs und verdiente sein Geld danach mit Forschungsaufträgen für die Luftfahrtindustrie.

In den Dreißiger Jahren flog er wieder. Mit seiner „Libelle“ trat der inzwischen der NSDAP angehörende Grade bei großen Flugschauen auf. In dem 1938 gedrehten Film „Ziel in den Wolken“ spielte er sich selbst. Während des 2. Weltkrieges rüstete sein Betrieb Lkws für die Organisation Todt um. Die sowjetische Besatzungsmacht beschlagnahmte seinen Betrieb zunächst, gab die Fabrik aber bereits nach kurzer Zeit wieder frei, ohne Hans Grade weiter zu behelligen. Er wurde als politisch unbelastet angesehen und konnte seiner Arbeit nachgehen. Er starb 1946 in seinem Haus in Borkheide.

Die Wirkung Hans Grades

Dieses Bild von Hans Grade und seiner Frau entstand anlässlich des 60. Geburtstags des Flugpioniers am 17. Mai 1939 in seinem Haus in Borkheide. (#1)

Dieses Bild von Hans Grade und seiner Frau entstand anlässlich des 60. Geburtstags des Flugpioniers am 17. Mai 1939 in seinem Haus in Borkheide. (#1)

Grades Bekanntheit hat wenig gelitten. Seine „Libelle“ hat heute ihren Platz im Deutschen Museum, und im Magdeburger Technikmuseum hängt ein Nachbau des Dreideckers, mit dem er Deutschlands ersten Motorflug durchführte. Wer nach Borkheide fährt, kann dem Hans-Grade-Museum einen Besuch abstatten. Außerdem steht in Borkheide seit 1980 ein von der Potsdamer Künstlerin Petra Raschke geschaffenes Denkmal, das an den Flugpionier erinnert. Viele Jahre flog eine Boeing 707, Kennzeichen 10 + 02, mit dem Namen „Hans Grade“ in der Flugbereitschaft der Luftwaffe, brachte Politiker zu Auslandsbesuchen, flog aber auch Soldaten, Versorgungsgüter und Hilfsmaterial in alle Welt.

Heute trägt ein Airbus A310 MRTT der Luftwaffe diesen Namen. Wie die anderen A310 MRTT der Flugbereitschaft ist die moderne „Hans Grade“ mehr als ein Reiseflugzeug für die politische Führung des Landes. Die Flugzeuge können je nach Bedarf als Personentransporter, Frachtflugzeug, fliegende Ambulanz oder zur Luftbetankung ausgerüstet werden. Auch Fliegerclubs, Flugschulen und Modellbauclubs haben sich nach Deutschlands erstem Motorflieger benannt. So führt der Güstrower Flugsportverein den Namen in der Vereinsbezeichnung: „Aero Club von Güstrow Hans Grade e. V.“. In Berlin gibt es einen traditionsreichen Modellbauclub, den „Modellbausportclub Hans Grade e. V.“, der bereits zu Zeiten der DDR gegründet worden ist und damals unter dem Dach der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) aktiv war. Der Club beschäftigt sich mit dem Bau maßstabsgetreuer Modelle aller Art.


Bildnachweis: © Titelbild + #1 Bundesarchiv via Wikimedia Commons, #2 Heino Rhoden via Wikimedia Commons, #3 Wuselig via Wikimedia Commons, #4 1971markus@wikipedia.de via Wikimedia Commons.

Über den Autor

Mein Beruf ist das Schreiben; ich arbeite als freier Journalist, Texter und Buchautor. Das reicht für Leben und Modellbau, also auch für das eigentliche Leben. Beruflich wie als Modellbauer interessiert mich die Luftfahrt, speziell die der großen Luftfahrtländer. Ich baue auch gerne mal etwas, das aus dem Rahmen fällt. Hauptantriebskräfte: Neugier, Kaffee und ein guter Witz.

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