China schreibt Luftfahrtgeschichte. Mit der Comac C919 hat der volkreichste Staat der Erde sein erstes Passagierflugzeug vorgestellt. Geraten Boeing und Airbus jetzt ins Hintertreffen?
Comac C919: Baldige Zulassung erwartet
Bereits im Mai 2017 war der Erstflug. Jetzt hat die C919 laut Angaben des Herstellers den „Ultimate Load Test“ bestanden. Ein wichtiger Test für die Zulassung eines Flugzeugs. Und spannende Aussichten für den Flugzeugmarkt. So entspricht die weitgehend in China entwickelte Flugzeug von der Größe her dem Airbus A320 und der Boeing 737. Eine ernsthafte Konkurrenz für die beiden Giganten am Himmel? Das könnte möglich sein. Schon für Ende 2020 wird die Zulassung durch die chinesischen Behörden erwartet.
Direktverbindungen zwischen asiatischen Millionenstädten
Der Jet hat einen Riesenvorteil: Er bedient ideal seinen Heimatmarkt China. Die C919 bietet Platz für etwa 160 Passagiere und hat eine Reichweite von gut 4000 Kilometer. Damit verbindet sie ohne Probleme die Megacities von Peking, Schanghai oder Hongkong miteinander. Auch international können Ziele im wachsenden asiatischen Markt (zum Beispiel Singapur oder Tokio) von chinesischen Flughäfen aus leicht erreicht werden.
Video: Comac C919: Mit diesem Jet will China Airbus und Boeing angreifen
Comac C919: Ein neues Flugzeug und ein neues Image?
Chinas Politik zeigte sich offen wie nie und sendete während dem Erstflug Live-Bilder aus dem Cockpit. Eine Darstellung des Fahrwerks im Detail und ein Blick aus dem Modell. So eine Transparenz ist man von den Konkurrenten aus den USA und Europa, Boeing und Airbus, nicht gewohnt. Man sieht: Das Reich der Mitte ist mächtig stolz auf die Comac C919, die erste im eigenen Land fast komplett selbst entwickelte und gefertigte Passagiermaschine.
Chinas erstes Flugzeug sollte schon 2014 abheben
Freilich: Auch bei diesem Projekt gab es jahrelange Verzögerungen. Der Jet sollte bereits vor 4 Jahren in den Lüften sein. Und einige wichtige Bauteile stammen trotz chinesischer Entwicklungshoheit aus dem Westen. Zum Beispiel die Triebwerke, welche der von CFM stammen. Dieser amerikanisch-französische Hersteller verwendet sie übrigens auch für die Modelle A320Neo und Boeing 737Max.
Deutschland steuert zusätzliches Know-how bei: Fahrwerk und Kabinenluftsystem kommen aus dem Allgäu von der Schweizer Liebherr-Gruppe. Das Cockpit orientiert sich mit der sogenannten Sidestick-Steuerung an Airbus.
Keine Frage, die Entwicklung eines eigenen Passagierflugzeugs ist eine Herkulesaufgabe. Das zeigen die Verzögerungen beim Erstflug aber auch die Beteiligung westlicher Partner an dem Jet. Bis zur endgültigen Zulassung durch die Aufsichtsbehörden vergehen wohl noch ein paar Jahre. Ein vielversprechender Anfang ist aber gemacht: In nächster Zeit sind bereits selbstentwickelte Triebwerke aus China zu erwarten. Das große Ziel bleibt, Airbus und Boeing international ernsthaft Konkurrenz zu machen. Die Comac C919 ist dabei nur ein wichtiger Anfang.
Comac C919: Riesiger Bedarf Chinas bis 2035
Chinas Nachfrage ist riesig und von Boeing oder Airbus alleine nicht zu stemmen. Bis 2035 benötigt die Volksrepublik vermutlich mehr als 6000 Flugzeuge, um den wachsenden Inlandsverkehr zu bedienen. Die Chance für den Comac C919 auf eine quasi Monopolstellung am Markt ist da.
Denn nicht zuletzt aus politischen Gründen möchte sich die Staats- und Parteiführung unabhängig von ausländischen Einflüssen machen. Und zwar um (fast) jeden Preis: Auch unter Inkaufnahme von finanziellen Verlusten und mit Hilfe staatlicher Subventionierung wurde das erste chinesische Passagierflugzeug entwickelt.
Als Folge staatlichen Drucks wurden die drei größten chinesischen Fluglinien China Eastern, China Southern Airlines und die Air China dazu verpflichtet, jeweils mindestens 20 Exemplare der Comac C919 abzunehmen. Ein erster Schritt für den Markterfolg, aber auch das Interesse außerhalb Chinas wächst. Unter anderem bei der amerikanischen Flugzeugleasing-Firma GE Capital Aviation Services (20 Stück) und City Airways aus Thailand, das 10 Flugzeuge abgenommen hat.
Boenig und Airbus nur Zuschauer in Chinas Flugzeugmarkt?
Der Druck auf die Platzhirsche Boeing und Airbus wächst: Laut „Australian Aviation“ liegen bis Ende Mai 2018 bereits etwa 700 Bestellungen und Absichtserklärungen für Käufe des Jets vor. Falls sich Chinas Flugzeugindustrie in der anschließenden Serienproduktion bewährt, könnte mittelfristig ein ernsthafter Rivale am Horizont auftauchen. Denn schmerzhaft ist jede Flugzeugbestellung, welche an die Konkurrenz geht.
Auf der anderen Seite: Boeing wie Airbus sind momentan gut im Geschäft und könnten die hohe Nachfrage Chinas alleine gar nicht bewerkstelligen. Ein weiterer Vorteil der Multis: Das weltweite Netzwerk in punkto Service. Fluggesellschaften auf allen Kontinenten, die mit einer 737 oder einem A 320 fliegen, verfügen bei Problemen sofort über die richtigen Ansprechpartner.
Comac C919: Das sind (noch) die Nachteile des chinesischen Flugzeugherstellers
Das ist ein ungemein wichtiger Vorsprung in der sensiblen Branche. Denn gerade bei sicherheitsrelevanten Fragen oder Verschleißerscheinungen ist der Direktkontakt unverzichtbar. Fehler können hier im schlimmsten Fall Flugzeugabstürze verursachen. Der chinesische Hersteller kann einen solchen Service noch nicht anbieten, so dass beide Flugzeughersteller auf längere Sicht keine Sorge vor zu großer Konkurrenz haben müssen.
Übrigens zeigten sich Boeing wie Airbus fair und gratulierten Comac zum Erstflug. Ein kluger Schachzug, weil diese chinesische Flugzeugfirma vermutlich keine Eintagsfliege bleiben, sondern ein Big Player werden könnte. Da ist Contenance gefragt und gerne möchten Boeing wie Airbus auch weiterhin ihre Flugzeuge in China verkaufen.
Comac C919: Plant der chinesische Hersteller weitere Modelle?
Zunächst ist davon auszugehen, dass das Unternehmen die endgültige Marktreife des Jets abwartet, bevor es einen neuen Passagierjet plant. Die Erfolgsstory der Flugzeugbauer scheint aber weiter zu gehen. So unterzeichnete die HNA Group im Juli 2018 eine Absichtserklärung zum Kauf von 20 ARJ21-Flugzeugen. Es handelt sich um ein robustes strahlgetriebenes Regionalverkehrsflugzeug, das auch in klimatisch ungünstigen Regionen wie West-China eingesetzt werden kann. Die Urumqi Air, eine Tochtergesellschaft der HNA Group, wird die 20 Flugzeuge nach der Auslieferung in Dienst nehmen und auf den komplexen Routen einsetzen. Das ARJ21-Flugzeug ergänzt damit ideal den vor der Markteinführung stehenden Passagierjet.
Die Zukunft der chinesischen Zivilluftfahrt
Die Partnerschaft mit der HNA Group hat auch zum Ziel, eine Verbesserung der eben erwähnten Defizite zu erreichen. Erreicht werden soll der Aufbau eines Netzwerks für Flugzeuge aus China. Hinsichtlich Leasing aber auch in Bereichen der Produktion, der Materialversorgung und des Vertriebs wie Supports. Im Falle der ARJ21-Modelle im regionalen chinesischen Markt und bei der C919 im asiatischen beziehungsweise weltweiten Marktes.
Die Voraussetzungen, in einigen Jahren den großen Platzhirschen Boeing und Airbus einige Marktanteile abzunehmen, sind positiv. Das Ziel Chinas, ein wichtiger Teil des zivilen Luftverkehrs zu werden, wird Stück für Stück Realität.
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